Der Begriff „Steuerberatung 4.0“ ist an eine Initiative der Bundesregierung „Industrie 4.0“ angelehnt und beschreibt die umfassende Digitalisierung von Geschäftsprozessen durch die fortschreitende Vernetzung aller Bereiche in Produktion und Dienstleistung mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Die Vernetzung begann innerhalb der Kanzleien und schliesst mittlerweile auch die Finanzverwaltungen ein, der Mandant selbst wird in vielen Kanzleien immer noch weitgehend konservativ bedient. Einzige Ausnahme ist die E-Mail als inzwischen selbstverständliches Arbeits- und Kommunikationsmittel zwischen Mandant und Steuerkanzlei. Die Steuerberatung 4.0 ist aber sehr viel weiter gefasst und wird die Arbeitsprozesse innerhalb der Kanzlei sowie die gesamte Kommunikation und Datenübergabe zwischen Mandant, Kanzlei und Finanzverwaltungen radikal verändern.
Die wohl größte und augenfälligste Veränderung in der Zusammenarbeit zwischen Steuerberater und Mandant ist die schon vielfach praktizierte Abschaffung der Papierpendelordner für die Bereitstellung aller Unterlagen und Belege für die monatliche Buchhaltung. In der digitalen Zusammenarbeit werden Belege oft schon beim Mandanten gescannt und per E-Mail oder über eine Cloudanwendung für die elektronische Datenverarbeitung bereitgestellt. Für die Kanzlei und ihre Zukunft als digitale Kanzlei gewinnt das zentrale Dokumentenmanagementsystem (DMS) eine immer größere Bedeutung, da Mithilfe eines zentralen DMS alle Mitarbeiter permantenen Zugriff auf sämtliche Unterlagen haben. Neben dem schnelleren Auffinden von Belegen tragen die insgesamt viel kürzeren Informationswege zu effizienten Prozessabläufen in der digitalen Steuerkanzlei bei. Wenn alle Belege vom Mandanten konsequent digitalisiert und dem Berater in elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden, reduziert das den verwaltungstechnischen Aufwand enorm und senkt damit langfristig die Kosten.
Das Online-Banking ist ein gutes Beispiel dafür, wie Dienstleistungen vollständig digitalisiert werden können und den Besuch des Kunden in einer ortsnahen Filiale überflüssig machen. Dieselben erdrutschartigen Veränderungen werden auch für das Steuerberaterwesen prognostiziert, wer morgen vorne dabei sein möchte, muss sich heute schon darauf vorbereiten und z.B. in neue Hard- und Software inverstieren. Das zentrale Dokumentenmanagementsystem (DMS) ist ein elementarer Baustein der digitalen Kanzlei, das nicht nur für Mandanten erhebliche Vorteile mit sich bringt. Der Einsatz eines DMS bedeutet auch, dass Mitarbeiter nicht mehr zwingend in den Räumen der Kanzlei ihre Aufgabe erledigen müssen, sondern viele Routinearbeiten durchaus auch von zu Hause aus erledigen können. Gerade in Zeiten, in denen Kanzleien immer schwerer qualifizierte Mitarbeiter finden, bekommt die Heimarbeit eine ganz neue Bedeutung. Ausserdem stellt die Möglichkeit von Home-Office-Arbeitsplätzen auch einen Leistungsanreiz dar und schafft der Kanzlei im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter einen echten Vorteil.
Die zunehmene Digitalisierung und das zentrale Dokumentenmanagementsystem schwächt die Bedeutung des Standortes und der Standortnähe zwischen Steuerberater und Mandant, das haben klassiche Banken mit einem Filialnetz längst gelernt. Wer vollständig digital arbeitet und ganz auf Papier und Pendelordner verzichtet, braucht keinen standortnahen Steuerberater mehr. Künftig können Steuerberater Ihre Mandanten also bundesweit suchen, Spezialisierung und Qualifikation der einzelnen Kanzlei gewinnen an Bedeutung. Und was für das Verhältnis von Steuerberater und Mandant gilt, ist letzlich auch auf die Mitarbeiter der Kanzlei anwendbar: Wer vollständig digital arbeitet kann Mitarbeiter bundesweit suchen und Menschen mit Behinderung, auf dem Land oder in strukturschwachen Gebieten neue Chancen anbieten. Die digital getriebene Flexibiliserung der Arbeit ermöglicht auch Teilzeitbeschäftigungen, wenn Mitarbeiter eine Babypause einlegen oder Angehörige pflegen müssen. Neben den neuen Chancen darf aber nicht vergessen werden, bestehende Mitarbeiter behutsam in den digitalen Wandel einzubeziehen, ihnen die Angst vor dem Wandel zu nehmen und ihre Qualifikationen immer weiter zu entwickeln. Wer neue Mitarbeiter für den Standort sucht, findet die besten Köpfe nicht mehr über klassische Stellenanzeigen in der Zeitung sondern auf den neuen digitalen Wegen und Plattformen.